
Diesmal bin ich nicht am Verkostungstisch, sondern mitten im Maschinenraum des European Beer Star.
Hier, wo Bierdeckel wichtiger sind als Instagram, wo Logistik wie ein Uhrwerk tickt – und wo der beste Schluck manchmal nicht gewinnt.
8 Uhr – Der Ansturm beginnt
72 Bierkategorien. 145 Jurymitglieder aus 35 Ländern. 55 Volunteers hinter den Kulissen.
Und vor mir – die ersten 64 Gläser.
Die Juroren strömen herbei, doch das eigentliche Rückgrat des Wettbewerbs steht bereits: die Volunteers.
Es ist wimmelig, nur das Klirren der Verkostungsgläser. Wir sortieren. Wir gleichen ab. Wir schenken ein. Und wir flitzen. Ohne die „Flitzer“, die „Einschenker“ und die „Tisch Stewards“ gäbe es kein funktionierendes System – weder beim European Beer Star (Nürnberg), International Beer Challenge (London), Birra dell‘ Anno (Rimini), noch bei der International Trophy (Mainz, Lyon, Frankfurt) oder Hobbybrauer-Contests (da wo Durst ist).

Backstage statt Jurytisch
Bierwettbewerbe wie der European Beer Star sind nicht nur eine Bühne für Brauereien – sie sind auch ein Marathon für alle Beteiligten. Zu guter Letzt für die Juroren und ihre Sinne. Diesmal bin ich jedoch nicht an den Proben, riechend und schmeckend und bewertend. Diesmal bin ich im Backstage. Zwischen Listen, Gläsertausch und Resteleeren am Tisch 16 liegt ein ganz eigener Mikrokosmos, den kaum jemand kennt. Heute nehme ich euch mit hinter die Kulissen: Wie ein Bier von der Anlieferung bis zur Medaille kommt – und warum manchmal der beste Schluck nicht gewinnt.

Logistik wie ein geöltes Uhrwerk
Schon 2 Wochen vor Wettbewerbsstart organisiert ein Team von 4 teilweise 5 Mitarbeitern der Private Brauereien Bayern die Bier vor Ort in Nürnberg auf der Messe. Der Ablauf hinter den Kulissen erschien wie ein geöltes Uhrwerk – zumindest mein Eindruck und lief wie am Schnürchen. Ein Teil des Teams agierte im Lager und sortierte die Biere mit Nummern und Bier Stilen pro Jurytisch vor. In den Vorrunden noch relativ einfach, da schon vordefiniert war welches Bier an welchen Tisch kommt. ABER in den k.o. Runden muss die Spreu vom Weizen getrennt werden und dann immer noch die richtigen Biere am richtigen Tisch im richtigen Kasten sein. RESPEKT!
Ein Tag am Tisch 16
Team 16 startet mit alkoholfreien Hefeweizen, ging dann zum Märzen, Hefeweizen mit Alkohol über bis sie nach 5 weiteren Runden einen belgischen Abschluss mit Strong Blond Ale machten. Soll ja keine nüchtern nach Hause … Scherz. Das Gute am Backstage, ich konnte probieren musste aber nicht. Anders die Jurymitglieder. Die musste durch alle Biere durch. Augen auf bei der Berufswahl!!

Warum beim EBS der Bierdeckel zählt
Im Unterschied zu anderen Wettbewerben werden beim EBS nicht die Gläser beschriftet, sondern Bierdeckel. Nach Aussagen der Organisatoren soll eine Beeinflussung des Aromas durch die Farbe des Stiftes am Glas vermieden werden. Gut gedacht! Lösungsmittel ist nämlich ein Fehlaroma im Bier z.B. wilde Hefe Kontaminierung oder auch zu hohen Fermentierungstemperaturen entstanden. Ein Bier mit solch einem Aroma wäre disqualifiziert. Zurück zu den Kennzeichnungen: die Nummern (immer 5 stellig) in den Vorrunden sind schon ausgedruckt. In den Finals durften wir dann fleißig leserlich schreiben. Und immer wieder kontrollieren, ob auch der korrekte Flascheninhalt im angedachten Glas landet beim richtigen Bierdeckel.

Volunteer kann jede:r sein
Volunteer sein kann jede und jeder! Helfende Hände sind immer erwünscht. Einfach über eine Webseite vom EBS die persönlichen Daten eintragen und GANZ wichtig eine T-Shirt Größe für das gemeinsame Erkennungszeichen angeben. Hier eher in italienischen Maßen denken, ansonsten ist zu mindestens bei den Damen Größen Bauchfrei angesagt. Die Judges dürfen in einer anderen Farbe erscheinen. Wichtig beim Gruppenbild! Erst die Gelben, dann die Bordeauxfarbenden.

Die drei Schlüsselrollen im Backstage
Volunteers im Backstage Ausschenkbereich haben folgende Aufgaben:
Die „Flitzer“ bringen gekühlte Proben pünktlich zum richtigen! Verkostungstisch – trotz Logistikdruck und Zeitplanzwängen.
Die „Einschenker“ schenken idealerweise ähnlich hoch ein, achten dabei auf Schaumbildung und auf die Sauberkeit des Verkostungsglases.
Die „Tisch Stewards“ räumen auf dem Jurytisch auf, füllen Neutralisierungswasser und Neutralisierung Cracker nach, damit die Juroren und Jurorinnen sich ungestört auf Aromatik, Geschmack und Mundgefühl konzentrieren können.
Unsere 3 Volunteers von Tisch 16 teilten sich alle Aufgaben. Jeder durfte jede, Rolle wahrnehmen. Dank Schrittzählern wussten wir: mit je 22.000 Schritten beanspruchten wir täglich unsere Beinmuskeln.

536 Gläser – an einem Tag pro Tisch
Ab und zu mussten ein bis zwei Volunteers in den Spülbereich, um die vielen Hunderte von Gläsern zu spülen. Beim EBS allein an unserem Tisch 536 Gläser am ersten Tag! Bei 17 Tischen sind das 9112 Gläser = Gläserspülmaschine im Dauereinsatz. Nicht immer ganz einbandfrei das Ergebnis. Somit musste ab und an poliert oder aber auch „ausgestunken“ werden. Der Chlorgeruch im Glas ist nicht geeignet, um der feinen Nase am Jurytisch Gutes zu tun – ganz zu schweigen, dass das Bier eine gute Bewertung erhält.

Ergebnisse: Handarbeit trifft Hightech
Ergebnisse der Juryrunden notiert der Table Kapitän auf Meldezettel. Alle Einzelbewertungen die Jurymitglieder auf Tabletts. Witzigerweise erfolgt die Bier Zusammenfassung und die finale Medaillenvergabe per handschriftlicher Angabe auf Zettel in extra Umschlägen. Das Wichtigste halt dann doch noch analog!
Bei anderen Wettbewerben sind nicht immer Table Kapitäne anwesend. Dort zählt jedes einzelne Jurymitglied im gleichen Maße. Lediglich bei Besonderheiten kann, muss aber nicht, über das Bier diskutiert werden. Insbesondere wichtig, beim Erkennen von Bierfehlern oder falls das Bier unfassbar gut abschneidet. Auch hier meist analog auf Zetteln. Beim International Beer Challenge in London trägt lediglich der Table Kapitän die sensorischen Eindrücke am Tisch elektronisch ein. Hier darf in einer Abstimmung Patsituation sogar der Kapitän das finale Wort haben. Die Diskussion über jedes einzelne Bier ist jedoch vorab intensiv und sehr wertschätzend. Für mich als Jurymitglied auch ungemein weiterbildend. So viel Wissen an einem Tisch – Fortbildung quasi inklusive!

Warum der beste Schluck nicht immer gewinnt
Wettbewerbe bewerten nach Bier Stil, Balance und Gesamteindruck. Manchmal ist ein Bier sensorisch beeindruckend, aber es passt nicht perfekt in die Kategorie. Manchmal ist ein Bier komplett in der falschen Kategorie eingereicht. Je nach Wettbewerb kann dies nachträglich korrigiert werden. Aber meist erhält solch ein ansonsten einbandfreies Bier leider eine schlechtere Bewertung. Sofern somit eine Brauerei etwas kreativer unterwegs ist als in den Traditionellen Bierbeschreibungen angegeben – besser als New Style oder Freestyle deklarieren. Hier kann das Bier sich so richtig austoben. Und die Volunteers freuen sich immer ganz besonders über diese Kategorie. Neben Barrel Aged – also fassgelagerter Biere – sind diese Tische im Backstage Bereich besonders beliebt.
Preisverleihungen & Festivals
Preisverleihung finden häufig in Verbindung mit Messen und Ausstellung statt. Beim EBS ist es die Drinktec bzw. die Braubeviale. Bei Hobbybrauer Wettbewerben auf dem dazu gehörigen Festival.

Mein Blick hinter die Juryentscheidung
Als Volunteer in im Backstage konnte ich alle Bier mit Etikett sehen. Manchmal kannte ich die Brauereien, manchmal nicht. Ab und zu war in meinen Augen ein mega Schätzchen dabei. Umso spannender, die Diskussion am Jury Tisch als stumme Beisitzerin zu erleben. Das hoffen, dass mein favorisiertes Bier auch als solches erkannt wird. Die Verwunderung, wenn ein Bier auf Gold gehoben wird, was ich nicht auf dem Schirm hatte. Dann ging es für mich schnurstracks zurück ins Backstage, um den Goldkandidaten nochmals zu probieren. Sehr spannend – diese direkte Möglichkeit zum Nachvollziehen der Ergebnisse. Hierbei – sehr sehr sehr wichtig – keine Fotos, keine Kommunikation der Ergebnisse, definitiv gar kein Social Media. Integrität und Verschwiegenheit das höchste Gut hierbei! Nicht nur vor der Ergebnis Kommunikation vom Veranstalter. Auch im Nachgang. Nicht jede Brauerei möchte bei nicht Medaillengewinn ihre Teilnahme bekannt gegeben haben.

Fazit: Eine Bühne für Bier – getragen von vielen Händen
Bierwettbewerbe sind weit mehr als Preisverleihungen. Sie sind logistische Meisterleistungen, bei denen Volunteers den Ablauf sichern, Juror: innen die Bühne bilden und Brauer: innen Anerkennung erfahren – auf professionellem wie auf Amateur-Level. Als Jury-Teilnehmerin und Koordinatorin im Hintergrund habe ich höchsten Respekt für dieses Zusammenspiel. Insbesondere der Einblick national versus international extrem spannend!
Warst du schon einmal bei einer professionellen Bierverkostung dabei – als Brauer:in, Juror:in oder Gast?
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